Einer der spektakulärsten Berliner Kriminalfälle in den 1930er Jahren war der Mord am 20. Januar 1931 im Mercedes-Palast, das größte europäische Kino-Varieté. An jenem Abend strömten tausende Menschen in den Berliner Vergnügungstempel in der Hermannstraße 214, um zuerst das schmachtende Liebesdrama „Zwei Menschen“ und danach die Tanzgruppe „Zwölf Argentinos“ zu bewundern. Der Mercedes-Palast war besonders beliebt bei der Arbeiterklasse, da die Eintrittspreise recht erschwinglich waren. Mitten in diesem Trubel, während die Zuschauer sich von der Darbietung mitreißen ließen und ihre bierseligen Kommentare von sich gaben, machte sich die Programmverkäuferin Frau Rathke gegen 21:40 Uhr auf den Weg ins Theaterbüro für den Kassensturz. Was sie dort entdeckte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Denn ihr Boss, der Geschäftsführer Ernst Schmoller, lag bäuchlings auf dem Boden. Auf seinem Schreibtisch befanden sich die Tageseinnahmen von 1279,50 Mark. Die völlig aufgewühlte Frau Rathke alarmierte sofort einen Arzt – doch es war zu spät: Schmoller war tot. Die erste Diagnose lautete „Herzschlag“. Doch als ein Kriminalbeamter wenig später eintraf, stellte sich schnell heraus, dass die Ursache eine andere war. Der Beamte öffnete den Hemdkragen des Toten und entdeckte eine kleine Schusswunde unterhalb des Kehlkopfes. Die Spurensicherung gestaltete sich schwierig, da zahlreiche Neugierige das Büro betreten hatten, um einen Blick auf die Leiche zu werfen. Schließlich erreichte Kriminalkommissar Joachim Müller vom Polizeipräsidium am Alexanderplatz den Tatort. Er ging sofort von Raubmord aus, da im offenstehenden Tresor rund 600 Mark sowie weitere 200 Mark aus den Einnahmen der Spätvorstellung und 90 Mark in Silber fehlten. Hinter dem Schreibtisch fand sich eine Patronenhülse vom Kaliber 6.35 und ein weiteres Projektil hatte eine Bürotür durchschlagen. Müller begann seine Ermittlungen in zwei Richtungen. Ein arbeitsloser Schauspieler war zuvor mit Schmoller in Streit geraten, weil dieser ihm Freikarten verweigert hatte. Der Schauspieler hatte Schmoller massiv gedroht. Doch nachdem die Beamten ihn zwei Tage nach dem Mord in einer Bierkneipe festnahmen, konnte er ein Alibi für die vermutliche Tatzeit präsentieren. Auch der 33 Jahre alte Karl Urban, ein ehemaliger Bühnenmeister bei „Mercedes“ und nun Fänger der Trapeztruppe „Die acht Nelsons“, geriet in Müllers Visier. Zwar behauptete der Organist Leo Kallipke, Urban zur Tatzeit über die Bühne in Richtung Jägerstraße laufen gesehen zu haben, doch Urban bestritt dies vehement. Er gab an, den gesamten Abend bis tief in die Nacht in seinem Hotel Darmstädter Hof gemeinsam mit Schlangenbeschwörern und Löwenbändigern verbracht und mehrfach mit seiner Verlobten Bettina Schenk telefoniert zu haben. Zeugen bestätigten seine Angaben. Der Kommissar Müller, der auch „Leichen-Müller“ genannt wurde, weitete seine Ermittlungen auch auf die „Ringvereine“ aus, die für ihre kriminellen Machenschaften bekannt waren. Es war bekannt, dass der Familienvater Schmoller sich wegen seiner Affären mit Damen in Nachtlokalen verschuldet hatte. Doch auch diese Spur verlief im Sande, ebenso wie weitere 150 Hinweise. Da nichts mehr übrigblieb, beschloss Müller, Urban erneut genauer zu untersuchen. Ballistiker fanden heraus, dass Schmoller mit einer österreichischen Steyr-Pistole erschossen wurde. Die verwendeten Patronen waren US-Munition, die in Europa nicht erhältlich war. Urban hatte vor Zeugen in Mansfield eine Waffe „Made in Austria“ erworben und gestand jetzt unter dem Druck des Mordverdachts, die Pistole nach dem Mord im Hotelmüll entsorgt zu haben. Sie wurde jedoch nicht gefunden. Urbans luxuriöser Lebenswandel und seine damit verbundene Verschuldung machten ihn verdächtig. Zudem stand seine Hochzeit mit Bettina Schenck, einer Nachfahrin einer der ältesten Zirkusdynastien Europas, kurz bevor. Urban wollte 40 Gäste einladen, was ebenfalls erhebliche Kosten verursachte. Außerdem war Urban bereits 1922 wegen Diebstahls zu 1,5 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hatte damals Geld für seine bevorstehende Hochzeit benötigt. Müllers Team untersuchte die Vereinbarkeit von Tat und Alibi. War es möglich, dass Urban bei Schneeglätte in maximal 25 Minuten aus den Katakomben des Mercedes-Palastes bis zum Darmstädter Hof gelangen und die Waffe an der Spree versenken konnte? Eine Probefahrt mit dem Auto scheiterte an den zeitlichen Vorgaben. Erst der Journalist Walther Kiaulehn erschütterte das Alibi, indem er die Strecke mit der U-Bahn in einer „Blitzfahrt“ in 17 Minuten zurücklegte. Zudem stimmten Urbans Telefonprotokolle nicht mit den Zeugenaussagen überein: Sein erstes Gespräch nach Leipzig wurde erst um 22:15 Uhr angemeldet, nicht um 22:05 Uhr. Am 2. Februar 1931 nahm die Polizei Urban fest, auch weil alle seine Zeugen nicht mehr zweifelsohne bestätigen konnten, dass Urban die ganze Zeit bei ihnen gewesen war. Urban bestritt weiterhin die Tat, was ihn den Spitznamen der „Mann mit den eisernen Nerven“ einbrachte. Bei einer Gegenüberstellung im Mercedes-Palast identifizierten mehrere Zeugen Urban als den Flüchtigen, obwohl einige ihn vorher nie gesehen hatten. Am 7. Februar brach Urban zusammen und gestand nach einem intensiven Verhör: Er habe eigentlich Schmollers Vorgänger, den „alten Silbermann“, niederschlagen und berauben wollen. Als er jedoch einen Fremden am Schreibtisch sah, geriet er in Panik und schoss, der zweite Schuss sei von selbst losgegangen. Urban erklärte, dass er nach der Tat durch einen Notausgang geflohen sei und verschiedene Verkehrsmittel genutzt habe, um zuerst die Waffe in die Spree zu werfen und dann in sein Hotel zu gelangen. Beim Prozessauftakt am 4. Mai 1931 forderte die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe wegen schweren Raubes mit Todesfolge. Urbans Verteidiger, Prof. Dr. Dr. Erich Frey, beantragte eine Verurteilung wegen Totschlags. Das Gericht folgte dem Antrag der Verteidigung und verurteilte Urban zu acht Jahren Zuchthaus. Es wurde berücksichtigt, dass Urban vermutlich kein Geld geraubt hatte; das fehlende Geld wurde wohl erst nach dem Auffinden der Leiche gestohlen. Nach dem Prozess verzichtete Urban auf die Heirat mit Bettina Schenck, da er ihr keine Ehe mit einem Zuchthäusler zumuten wollte. Er saß seine Strafe bis 1939 vollständig ab und wurde dann entlassen. Urbans Anwalt Frey, der nach Chile emigrierte, um den Nazis zu entkommen, berichtete später, dass Urban glücklich verheiratet in der Sowjetzone lebte. Der Mord im Mercedes-Palast war ein Verbrechen, das die Berliner in Atem hielt, und ein Schicksal, das in den Wirren der Geschichte beinahe unterging.

Von Isabella Mueller

Mein Name ist Isabella Mueller, und ich lade euch ein, die kreativen Universen zu erkunden, die ich durch meine Blogs erschaffe. Seit 2020 widme ich meine Leidenschaft dem Erzählen fesselnder Geschichten, die mysteriös, historisch und emotional sind. Es ist mein Ziel, nicht nur zu unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anzuregen und den Entdeckergeist in jedem von uns zu wecken. Auf isabellas.blog kombiniert sich die Spannung von Kriminalgeschichten mit aufregenden Reisetipps. Stellt euch vor, ihr wandert durch malerische Straßen einer neuen Stadt und ergründet dabei dunkle Geheimnisse, die in den Schatten ihrer Geschichte verborgen liegen. Jedes Stück auf meinem Blog ist so konzipiert, dass es das Herz eines jeden Krimi-Fans höherschlagen lässt und gleichzeitig die Neugier auf unbekannte Orte weckt. Hier seid ihr eingeladen, den Nervenkitzel des Unbekannten und die Schönheit unserer Welt zu erleben – eine perfekte Kombination für alle Abenteuerlustigen! In meinem zweiten Blog, akteq.com, dreht sich alles um wahre, ungelöste Kriminalgeschichten. Unter dem Motto „akteQ: Cold Case Stories“ enthülle ich die unheimlichen und oft tragischen Geschichten hinter ungelösten Fällen. Gemeinsam können wir die Rätsel der Vergangenheit erforschen und tief in die menschliche Psyche eintauchen. Was geschah wirklich? Wer waren die Menschen hinter diesen mysteriösen Ereignissen? In diesem Blog lade ich euch ein, Fragen zu stellen und die Antworten zu finden, die oft im Dunkeln liegen. Ein weiteres spannendes Kapitel meiner Bloggerlaufbahn findet ihr auf thecastles.org. Hier beginne ich eine zauberhafte Reise durch die Geschichte der Burgen und Schlösser. Haltet inne, während ihr die Geschichten entdeckt, die in den Mauern dieser alten Gemäuer verborgen sind. „Explore the enchantment, discover the history – your journey begins at thecastles.org!“ Diese Worte sind mehr als nur ein Slogan; sie sind eine Einladung an alle, die Geschichte und Magie miteinander verbinden möchten. Lasst euch von den beeindruckenden Erzählungen und der Faszination vergangener Epochen inspirieren! Aber das ist noch lange nicht alles! Auf kripo.org erwartet euch ein umfassendes Onlinemagazin für echte Kriminalfälle. Taucht ein in die Welt des Verbrechens, erfahrt von den realen Geschichten hinter den Schlagzeilen und den Menschen, die sich mit der Aufklärung beschäftigen. Mit criminal.energy entführe ich euch in die packenden Erzählungen wahrer Verbrechen, in denen Bösewichte gejagt, gefasst und verurteilt werden. Die Suche nach Gerechtigkeit und die Konfrontation mit dem Unbekannten stehen im Mittelpunkt. Und für all jene, die die Welt bereisen wollen, bietet wanderlust.plus die Möglichkeit, die Welt, ein Abenteuer nach dem anderen, zu erkunden. Hier geht es um die Liebe zur Erkundung und die Freude, neue Kulturen und Landschaften zu entdecken. Lasst uns gemeinsam die Geschichten entdecken, die die Welt um uns herum prägen. Ich freue mich darauf, euch auf dieser aufregenden Reise zu begleiten und hoffe, dass ihr viele unvergessliche Momente mit mir teilen werdet!

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